Ich sitze in der Küche, als das Telefon schellt.
Diana, eine junge Mutter von 3 Kindern meldet sich und erzählt zögernd von dem Unfalltod ihres Vaters.
Sie war mit den Kindern, die im Kindergarten- und Grundschulalter sind, und ihren Eltern nach einem Museumsbesuch im Café.
Danach machten sie sich auf den Weg zum Auto.
Und auf diesem Weg gab es in der Dunkelheit einen Verkehrsunfall.
Der Vater, Opa und Ehemann war sofort tot.
Diana spricht zögernd, überlegend und Pause machend. Sie kann sich selber beschreiben und verstehen. Und gleichzeitig auch nicht.
So ist das oft in Schreck- oder Schocksituationen.
Und sie fragt nach Hilfe – nicht weil sie hilflos ist, sondern weil sie einen fachlichen Blick „von außen“ wünscht.
Familientrauerbegleitung schätzt sie dabei.
Wir sprechen darüber, dass ich immer wieder in Seminaren sage: „Ich glaube, wenn in unserer Familie Schlimmes geschieht und ich nicht die Verstorbene bin, dann wünsche ich mir Menschen aus meinem Team an die Seite.
Oder im Rücken.“
Alleine geht auch, aber gemeinsam kann es besser sein.
Wir reden über die Gedanken und Fragen der Kinder. Eine davon lautet:
„Ist das Auto über den Opa gefahren?“
„Es ist hart“, sagt Diana. „Aber es ist gut, dass sie benennen, was sie als Fragen im Kopf haben.“
Ja, wenn es gefragt werden darf und sachgerecht und kindlich erklärt wird, dann muss diese Frage nicht so sehr Bauch- und Herzschmerzen machen, wie wenn sie alleine von und in einem kleinen Menschen getragen wird.
So oft schützen die Kinder ihre Eltern, weil sie nicht belasten und nicht traurig machen wollen.
Es spricht von viel Vertrauen, dass die Mädchen nachfragen.
Der Junge, er ist zum Detailfragen noch zu klein, aber darf dennoch dabei sein.
Und noch etwas fällt mir auf: die Gespräche zeugen davon, dass in der Familie auch schon vor dieser Lebenskrise gesprochen wurde.
„Übt es heute ein, vielleicht benötigt ihr es morgen“, sage ich immer wieder.
„Wenn es möglich ist, dann besucht den toten Vater, Opa und Ehemann noch am Sarg. Gute Bestatter helfen euch vieles möglich zu machen, anstatt vom Besuch abzuraten.“
Ja, natürlich überlegen Familien dann, je nachdem, welchen Tod der Mensch gestorben ist, ob so ein Abschiednehmen für sie in Frage kommt.
und es war so gut, dass die Familie sich für einen Möglichmacher entschied.
Die Enkelkinder bemalten den Sarg, der in den Räumen des Kolumbariums aufgestellt war.
Ja, erst malten die Kinder, und dann malten die Großen und es schrieben auch einige weitere Besucher etwas dazu.
Kerzen brannten auf dem Sarg, Rosen lagen darauf.
Und Zahnarztinstrumente, die hatten die Mitarbeiter mitgebracht.
„Wir sagen „Danke“ an den besten Chef“ konnte man lesen.
So etwas kann gut sein, schön sein in all der Erschütterung.
Wie tröstend in auf den Kopf gestellten Welt.
Und wie traurig.
Wir trafen uns am Abend mit den Enkelkindern, Diana und ihrem Mann am Sarg.
Ich hatte Wunschpapier dabei – für den Aufbahrungsraum und auch für zuhause.
Wunschpapier kann man manchmal nicht genug haben. 😉
Und Diana und ihre Tochter unterhielten sich am Sarg.
Die Fünfjährige betrachtete Mamas Reaktionen ganz genau, sie fragte, guckte und die Mama – sie war für sie da. Genauso wie der Papa.
Alle verabschiedeten sich beim Rausgehen.
Die eine strich über den Sarg, die andere ließ die Hand darauf liegen und einer klopfte noch mal an.
„Mach’s gut.“
Draußen erzählen die Eltern am Auto, dass die Siebenjährige von Omas Trauer sehr berührt sei. Nicht weniger, weil man es nicht vergleichen kann, aber anders berührt als vom Tod des Opas.
Und es wird wieder deutlich, dass Kinder, die an der Hand in Trauersituationen mitgenommen werden, an der Trauer nicht zerbrechen, sondern Mitgefühl entwickeln. Zum Beispiel der traurigen Oma gegenüber.
Sie lernen Mitgefühl, Rituale, Abschiednehmen, Familienzusammenhalt in guten und schweren Tagen – und außerdem noch Wunschpapier kennen.
Am Abend schickt Diana mir einige Zitatenzettel mit schönen handgeschriebenen Sprüchen darauf. Das war ein Faible ihres Vaters, sinnvolles, hoffnungsvolles und mutmachendes zu sammeln.
Vielleicht hat er es für sich in schweren Zeiten genutzt und nun damit ein wertvolles Erbe weitergegeben.
Ein Zitat lautete:
„Alles, was schön ist bleibt schön, auch wenn es welkt.
Und unsere Liebe bleibt Liebe, auch wenn wir sterben. M. Gorki“
„Mein Papa💚“ schrieb Diana darunter. Mehr nicht.
Es brauchte nicht mehr, weil es Trost war.
Und wahrscheinlich „typisch Papa“.
Danke Diana, dass ich erzählen darf. Auch das ist tröstend, weil Familientrauerbegleitung auch dadurch selbstverständlicher wird.
Herzliche Grüße aus dem LAVIAhaus!
Mechthild Schroeter-Rupieper
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